Gegentor kassiert. Und nun?

Veröffentlicht am 7. Januar 2025 um 10:58
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Psychologische Ansätze, um mit Rückschlägen wie Gegentoren umzugehen und sein Spiel konzentriert und fokussiert fortzusetzen

 

Der Moment, in dem der Ball die Linie überquert, ist für jeden Torwart ein schmerzlicher Augenblick. Egal, ob es sich um einen Sonntagsspieler auf dem Dorfplatz oder einen Profi in einem Champions-League-Finale handelt: Gegentore fühlen sich immer persönlich an. Für Torhüter sind sie oft mehr als nur ein sportliches Missgeschick; sie treffen das Ego, den Stolz und das Selbstbewusstsein. Doch genau hier liegt die Herausforderung und die Chance: Wie gelingt es, nach einem Rückschlag wie einem Gegentor mental stabil zu bleiben und das eigene Spiel unbeirrt fortzusetzen?

 

Psychologische Ansätze können hierbei entscheidend sein. Dieser Artikel beleuchtet die Rolle der mentalen Stärke, erklärt, wie Rückschläge verarbeitet werden können, und bietet praktische Strategien, die Torhüter dabei unterstützen, auch nach einem Gegentor fokussiert und selbstbewusst im Spiel zu bleiben.

 

Rückschläge als Teil des Spiels akzeptieren

Rückschläge – ob sie in Form von Gegentoren, verpassten Chancen oder Kritik von außen auftreten – können mental belastend sein. Doch sie bieten auch eine Gelegenheit zur Entwicklung. Viele Spitzensportler berichten, dass sie aus ihren größten Fehlern am meisten gelernt haben. Im Torwartspiel ist die Fähigkeit, Rückschläge als Teil eines kontinuierlichen Lernprozesses zu betrachten, entscheidend. Dies wird durch das Konzept der Resilienz gestützt, das die Fähigkeit beschreibt, sich trotz Widrigkeiten schnell wieder zu erholen. Resilienz ist keine angeborene Eigenschaft; sie kann durch gezielte Übungen und mentale Techniken gestärkt werden.

 

Mentale Vorbereitung als Schlüssel

Ein zentraler Aspekt, um Rückschläge besser zu verkraften, ist die mentale Vorbereitung. Studien im Bereich der Sportpsychologie zeigen, dass Athleten, die sich mental auf schwierige Situationen einstellen, resilienter sind. Für Torhüter bedeutet dies, sich bereits vor dem Spiel darauf vorzubereiten, dass Gegentore fallen können, und eine Strategie zu entwickeln, wie sie damit umgehen wollen.

Die Akzeptanz ist demnach ein wichtiger Teil des Torwartspiels. Rückschläge gehören zum Fußball und insbesondere zum Torwartspiel unweigerlich dazu. Kein Torwart – egal wie gut – beendet seine Karriere ohne Gegentore. Viele junge Keeper neigen dazu, Gegentore als persönliches Versagen zu betrachten. Doch die Realität ist, dass Fußball ein Mannschaftssport ist, und ein Gegentor ist selten alleine die Schuld des Torwarts. Die Akzeptanz von Fehlern oder Rückschlägen beginnt mit der Erkenntnis, dass sie Teil des Spiels sind. Ein Ansatz, der in der Sportpsychologie häufig betont wird, ist das Konzept der radikalen Akzeptanz. Dieser Begriff, ursprünglich aus der Dialektisch-Behavioralen Therapie stammend, beschreibt die Fähigkeit, eine Situation so zu akzeptieren, wie sie ist, ohne sie zu bewerten. Für Torhüter bedeutet dies, den Moment des Gegentors nicht zu verdrängen oder zu ignorieren, sondern ihn als gegeben hinzunehmen und sich darauf zu konzentrieren, was als Nächstes kommt. Hierbei hilft bereits im Vorfeld des Spiels die Technik der präventiven Visualisierung. Torhüter können sich im Vorfeld eines Spieles bereits vorstellen, wie sie nach einem Gegentor reagieren: ruhig, fokussiert und mit einem klaren Blick auf die nächste Aktion. Dieses mentale Training stärkt das Selbstvertrauen und minimiert die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gegentor den gesamten Spielverlauf negativ beeinflusst.

 

Der Einfluss des Selbstgesprächs

Innere Dialoge – also die Art und Weise, wie wir mit uns selbst sprechen – haben einen enormen Einfluss auf unsere mentale Stärke. Nach einem Gegentor ist die Stimme im Kopf des Torwarts oft kritisch: „Das war dein Fehler!“ oder „Jetzt denken alle, du bist nicht gut genug.“ Diese negativen Selbstgespräche können lähmend wirken und das Selbstvertrauen nachhaltig beeinträchtigen. Insbesondere dann, wenn es in den letzten Spielen auch schon nicht so gut lief - sowohl für dich als Torhüter als auch für die gesamte Mannschaft. Hier setzen Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie (CBT) an, die auch im Leistungssport weit verbreitet sind. Ziel ist es, negative Gedanken zu identifizieren und durch positivere, realistischere Gedanken zu ersetzen. Nach einem Gegentor könnte ein solcher Gedanke lauten: „Das war ein schwer zu haltender Schuss, den hätte kaum jemand gehalten. Der war einfach zu platziert geschossen und mit zu viel Druck. Konzentriere dich jetzt auf die nächste Situation.“

 

Atemtechniken zur Beruhigung

Ein weiterer Ansatz, um nach einem Rückschlag die Ruhe und den Fokus zu finden, ist die Kontrolle der Atmung. Stress und Frustration nach einem Gegentor führen oft zu einer beschleunigten Atmung und einem erhöhten Herzschlag, was wiederum die Konzentration beeinträchtigen kann.

 

Die 4-7-8-Atemtechnik, entwickelt von Dr. Andrew Weil, ist eine bewährte Methode, um wieder schnell zur Ruhe zu finden:

1. Atme 4 Sekunden lang durch die Nase ein.

2. Halte den Atem 7 Sekunden lang an.

3. Atme 8 Sekunden lang langsam durch den Mund aus.

 

Diese Technik hilft nicht nur, seinen Stresslevel wieder zu senken, sondern signalisiert dem Gehirn auch, dass keine Gefahr besteht. Der Körper entspannt sich, und der Fokus kann wieder auf das Spiel gelenkt werden.

 

Die Kraft der Visualisierung

Wie oben schon beschrieben, können mentale Bilder ein mächtiges Werkzeug sein, um sich auf die nächste Situation vorzubereiten. Studien im Bereich der Sportpsychologie haben gezeigt, dass Visualisierungstechniken nicht nur das Selbstvertrauen stärken, sondern auch die Leistung verbessern können. Nach einem Gegentor könnten Torhüter beispielsweise kurz die Augen schließen und sich vorstellen, wie sie den nächsten Schuss souverän parieren. Diese mentalen Bilder helfen, den Fokus wieder auf die Zukunft zu richten und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken. In Verbindung mit den Erkenntnissen aus der kognitiven Verhaltenstherapie kann man seine Visualisierung nun zusätzlich auch noch mittels Selbstgespräch verbalisieren, um ggfs. aufkommende negative Gedanken in positive Gedanken umzuwandeln. 

 

Hierzu möchten wir Dir an dieser Stelle einmal die Methode „10xDreh“ aus der kognitiven Verhaltenstherapie vorstellen. Mit dieser Methode lernst Du, negative Gedanken und positive Gedanken umzukehren. Zunächst einmal musst Du deinen negativen Gedanken identifizieren und diesen in einen positiven Gedanken umformen. Anstatt „Ich war zu schlecht für diesen Schuss.“ sage Dir „Es ist okay, Fehler zu machen. Ich habe daraus gelernt und mache es in der nächsten Situation besser!“. Nun suchst Du dir 10 Begründungen für Deinen neuen positiven Gedanken, um dir selbst zu beweisen und vor Augen zu führen, wieso Du an diesen positiven Gedanken festhalten kannst. Nimm Deinen positiven Gedanken und füge ein „weil…“ hinzu. Für unser Beispiel könnten die 10 Begründungen wie folgt aussehen: „In der nächsten Situation mache ich es besser, weil

 

1.  ich schon öfter schwere Schüsse gehalten habe.

2. ich in jedem Training an meinen Schwächen und vor allem an meinen Stärken arbeite.

3. ich mich gut auf das Spiel vorbereitet habe.

4. ich viele gute Mitspieler habe, die mich unterstützen.

5. …….. etc.

 

Du siehst, diese Methode ist ziemlich einfach umzusetzen und in Kombination mit Deiner Visualisierung wirst Du dich schnell vom Gegentor erholen und weiterhin ein starker Rückhalt für Deine Mannschaft sein.

 

Emotionen kontrollieren, nicht unterdrücken

Emotionen sind ein natürlicher Bestandteil des Spiels. Wut, Enttäuschung oder sogar Scham sind nach einem Gegentor häufig. Der Versuch, diese Gefühle zu unterdrücken, ist jedoch selten erfolgreich und kann langfristig zu innerem Druck führen. Stattdessen empfiehlt es sich, die Emotionen bewusst wahrzunehmen und ihnen Raum zu geben, sie aber aktiv zu regulieren. Ein hilfreicher Ansatz aus der Achtsamkeitslehre ist es, die eigenen Gefühle zu benennen. Studien zeigen, dass das Benennen von Emotionen („Ich bin frustriert“ oder „Ich bin enttäuscht“) ihre Intensität reduziert. Dies schafft Raum, um rational zu denken und strategisch zu handeln. Nach einem Gegentor kann ein kurzer Moment der Selbstreflexion also helfen: Was fühle ich gerade? Warum? Und wie möchte ich damit umgehen? Diese Selbstwahrnehmung schafft Raum für rationale Entscheidungen.

 

Ein weiteres hilfreiches Werkzeug ist die sogenannte STOP-Technik:

1. Stoppen – Einen Moment innehalten und nicht impulsiv handeln.

2. Tief durchatmen – Den Fokus auf die Atmung legen, um den Puls zu senken.

3. Observieren – Die Situation und die eigenen Gefühle sachlich betrachten.

4. Planen – Einen klaren Plan für die nächste Aktion formulieren.

 

Die Bedeutung der Konzentration

Ein häufiges Problem nach einem Gegentor ist der Verlust der Konzentration. Negative Gedanken und Zweifel können den Fokus auf das Spiel trüben. Hier kommen Ansätze der Aufmerksamkeitssteuerung ins Spiel, die im Leistungssport vielfach angewendet werden. Torhüter sollten nach einem Gegentor gezielt ihre Aufmerksamkeit umlenken: weg von der Vergangenheit, hin zur Gegenwart. Eine einfache Technik ist das Setzen von Mikro-Zielen. Zum Beispiel: „Die nächsten fünf Minuten will ich sicher spielen, mich gut positionieren und klare Anweisungen geben.“ Diese kleinen, konkreten Ziele lenken den Fokus und helfen, im Spiel zu bleiben.

 

Die Bedeutung von Routinen

Routinen können nach einem Gegentor helfen, wieder in den „Flow“ zu finden. Viele Torhüter haben kleine Rituale, die sie nach einem Rückschlag ausführen: Sie schlagen die Torpfosten ab, gehen ein paar Schritte an die Strafraumgrenze oder nehmen sich einen Moment, um tief durchzuatmen. Diese Routinen wirken beruhigend und schaffen ein Gefühl der Kontrolle. Sie signalisieren dem Gehirn: „Alles ist in Ordnung, wir machen weiter.“

 

Der Blick aufs große Ganze

Manchmal hilft es, den Fokus zu erweitern und das Spiel in einem größeren Kontext zu betrachten. Ein Gegentor bedeutet nicht das Ende der Welt, und oft ist es nur ein kleiner Moment in einem langen Spiel oder einer gesamten Saison. Sportpsychologen sprechen hier von der Wachstumsmentalität (Growth Mindset). Diese Haltung fördert die Ansicht, dass Fehler und Rückschläge Gelegenheiten zum Lernen und Wachsen sind. Ein Gegentor ist nicht das Ende, sondern eine Möglichkeit, an sich zu arbeiten und besser zu werden.

 

Unterstützung durch das Team

Auch wenn der Torwart oft als Einzelkämpfer gesehen wird, ist er Teil einer Mannschaft. Die Unterstützung durch Mitspieler und Trainer kann nach einem Gegentor entscheidend sein. Ein ermutigender Klaps auf die Schulter oder ein paar aufmunternde Worte können Wunder wirken und dem Torhüter das Gefühl geben, nicht allein zu sein. Gleichzeitig ist es wichtig, dass Torhüter lernen, Hilfe anzunehmen und nicht den Anspruch haben, immer stark sein zu müssen. Psychologische Stärke bedeutet nicht, keine Schwäche zu zeigen, sondern diese zu akzeptieren und aktiv daran zu arbeiten. Mannschaften, die eine Kultur der gegenseitigen Unterstützung pflegen, schaffen ein Umfeld, in dem Rückschläge schneller überwunden werden können.

 

Fazit: Gegentore als Wachstumschance nutzen

Gegentore sind unvermeidbar, aber wie ein Torwart darauf reagiert, ist entscheidend. Mit den richtigen psychologischen Ansätzen – Akzeptanz, Emotionsregulation, Visualisierung, Selbstgespräch, Routinen und Resilienz – können Rückschläge zu einer Quelle der Stärke werden. Ein Torwart, der in der Lage ist, Gegentore als Teil des Spiels zu akzeptieren, seine Emotionen zu regulieren und sich auf die nächste Situation zu konzentrieren, wird nicht nur mental stärker, sondern auch auf dem Platz souveräner auftreten. Fußball ist ein Spiel der Fehler – und diejenigen, die aus ihren Fehlern lernen, sind diejenigen, die langfristig Erfolg haben. Gegentore bieten die Möglichkeit, mental zu wachsen, und dieser Prozess macht Torhüter nicht nur zu besseren Spielern, sondern auch zu stärkeren Persönlichkeiten.