Wie erhöht der Torwart seine Chancen beim 11m?

Veröffentlicht am 1. Januar 2025 um 14:46
Bewertung: 5 Sterne
2 Stimmen

Sind Torhüter beim Elfmeterschießen wirklich chancenlos?

Ein Fußballtor misst beeindruckende 7,32 Meter in der Breite und 2,44 Meter in der Höhe. Bei einem Strafstoß aus elf Metern Entfernung erscheinen die äußersten Ecken für den Torhüter nahezu unerreichbar, besonders da er die Torlinie nicht verlassen darf, um den Winkel zu verkürzen. Dennoch hoffen Mitspieler, Trainer und Fans, dass ihre Torhüter den Elfmeter parieren. Doch welche realistischen Chancen hat ein Torhüter überhaupt bei einem Elfmeter, einen Treffer zu verhindern? Wie kann er beispielsweise die geplante Schussrichtung des Schützen besser antizipieren? Wissenschaftliche Untersuchungen haben hierzu interessante Erkenntnisse geliefert.

 


ACADEMY PRO INHALT

Erkenntnis 1: Die Position des Standbeins beobachten

Die Ausrichtung des Standbeins des Schützen kann erste Hinweise auf die geplante Schussrichtung des Elfmeterschützen geben. So berichtete Bruno Staudt (ausgebildet im NLZ vom VfL Bochum) in einem Podcast, dass er unter anderem auf die Fußstellung des Standbeines des Schützen schaut, da diese bekanntlich die Richtung eines Passes bzw. Schusses vorgibt. Zeigt die Fußspitze des linken Standbeins eines Rechtsfuß-Schützen also leicht nach rechts (aus Sicht des Torhüters), ist es seiner Meinung nach wahrscheinlich, dass der Ball in diese Richtung geschossen wird. Dies bestätigte auch der englische Forscher Dr. Marc Williams, ein renommierte Forscher von der Liverpool John Moores University, in einer seiner Untersuchungen.  Er untersuchte eine Reihe von Elfmeterschützen und veröffentlichte ein erstaunliches Ergebnis: Ein kurzer Blick auf Standbein des Schützen genügt. 

 

Kanadische Forscher untermauern die Ansicht, dass das Geheimnis eines erfolgreich, gehaltenen Elfmeters in der Beobachtung des Standbeines des Schützen liegt. Ian Franks und Todd Harvey von der University of British Columbia in Vancouver analysierten dazu insgesamt 138 Elfmeter, die zwischen 1982 und 1994 während der Weltmeisterschaften geschossen wurden. Sie stellten dabei fest, dass bei 80 Prozent der Schüsse das Standbein in die Richtung zeigte, in die der Schütze den Ball auch tatsächlich schoss.

Erkenntnis 2: Der Torhüter kann die Schussrichtung beeinflussen

Psychologen der Universität Hongkong fanden heraus, dass Torhüter die Schussrichtung des Schützen beeinflussen können, indem sie sich minimal von der Torlinienmitte wegbewegen. Steht der Torhüter beispielsweise ein paar wenige Zentimeter von der Mitte entfernt, neigen Schützen häufiger dazu, in die größere Torhälfte zu zielen. So schossen in etwa 60 % der Fälle die Spieler in die vermeintlich offenere Ecke. Daher könnte ein Torhüter bewusst leicht versetzt stehen, um den Schützen zu einer bestimmten Schussrichtung zu verleiten.

 

Erkenntnis 3: Die Hüftstellung analysieren

Auch die Hüftposition des Schützen kann Aufschluss über die Schussrichtung geben. Steht die Hüfte parallel oder ist zum Torwart gerichtet, deutet dies darauf hin, dass ein Rechtsfuß den Ball in die rechte Ecke des Torhüters zielen könnte. Ist die Hüfte hingegen nach rechts abgewinkelt (aus Sicht des Schützen), könnte der Ball in der linken Ecke des Torhüters landen.

Aber bringen all die Erkenntnisse überhaupt etwas?

Berechnungen zeigen, dass ein Ball mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h nur etwa eine halbe Sekunde benötigt, um die Torlinie zu überqueren. Angesichts der menschlichen Reaktionszeit von mindestens 0,25 Sekunden bleibt dem Torhüter kaum Zeit, um auf den Schuss des Schützen zu reagieren. Um einen platzierten Schuss zu erreichen, müsste er sich mit einer Geschwindigkeit von 35 km/h bewegen, was physisch kaum möglich ist. Daher entscheiden sich viele Torhüter bereits im Voraus für eine Ecke, um die Reaktionszeit zu minimieren und ihre Erfolgschancen zu erhöhen.

Psychologische Strategien: Den Schützen verunsichern

Die mentale Belastung beim Elfmeterschießen liegt vor allem beim Schützen, da der Druck, ein Tor zu erzielen, hauptsächlich auf dem Schützen lastet. Denn jeder sieht den Schützen im klaren Vorteil gegenüber dem Torwart. Torhüter können den Druck auf den Schützen zusätzlich erhöhen, indem sie den Schützen durch verschiedene Taktiken verunsichern:

  • Körpersprache: Eine selbstbewusste Haltung, wie das Ausbreiten der Arme oder das Einnehmen einer imposanten Position, kann den Schützen beeindrucken.
  • Bewegungen: Aktive Bewegungen auf der Linie, wie Hüpfen oder Armbewegungen, können die Konzentration des Schützen stören.
  • Verzögerungstaktiken: Maßnahmen wie das Justieren der Handschuhe oder Gespräche mit dem Schiedsrichter können den Schützen aus dem Rhythmus bringen.
  • Konversation: Eine kurze Konversation darüber, in welche Ecke man gleich springen wird, kann den Schützen zum Nachdenken und schließlich aus seinem Konzept bringen.

Solche psychologischen Manöver sieht man auch im Profibereich immer wieder. Wer erinnert sich z.B. nicht an den geheimnisvollen Zettel von Jens Lehmann im Elfmeterschießen der WM 2006 gegen Argentinien. Man sollte aber immer bedenken, dass solche "Spielchen" immer am Rande des Fair-Play-Gedankens sind und manche die Grenze des Fair-Plays auch überschreiten. Hier muss jeder selber für sich entscheiden, der Zweck immer alle Mittel heiligt. 

 

Deutlich fairer ist hier vor allem das Studieren der Elfmeterschützen im Vorfeld. Wenn Du Zugriff auf Videoaufnahmen von gegnerischen Spielern hast, kannst du ihre Elfmeter analysieren, um ihre Schussmuster und bevorzugte Ecken zu identifizieren. Viele Torwarttrainer sammeln heutzutage beispielsweise Infos über Elfmeterschützen, sammeln ihre Erkenntnisse und teilen diese mit ihren Torhütern. Durch die Kombination der technischen, taktischen und psychologischen Ansätze kann ein Torhüter also durchaus seine Chancen erhöhen, einen Elfmeter erfolgreich abzuwehren. Dennoch bleibt der Strafstoß eine Herausforderung, bei der oft Nuancen über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.